Die Tarifrunde in der Metallbranche ist gestartet und die IG Metall erlaubt es sich, eine eine vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit als „verkürzte Vollzeit“ für bestimmte Situationen, z.B. Familie oder Pflege von Angehörigen oder bei Spezial zu fordern. Ich stehe als Metaller absolut hinter dieser Forderung, auch wenn von ihr nicht profitieren würde derzeit. Die ersten Reaktionen der Arbeitgeberseite in den Medien lassen mich freundlich gesagt „im Strahl kotzen“. „Weniger Arbeiten für das gleiche Geld, wo kommen wir denn da hin?“ „Wenn Arbeitszeit absenken, dann müssen wir aber zuerst über vorübergehende Arbeitszeiterhöhung reden!“ So oder so ähnlich waren die ersten „spontanen“ Reaktionen des großzügigen Arbeitgeberseite. Ich kann diese Forderung ja durchaus nachvollziehen, aber nur aus einer Sicht der nackten Zahlen. Die Wirtschaft brummt, die Auftragsbücher sind voll. Jeder Facharbeiter wird dringend gebraucht. Da kann es ja wohl echt nicht sein, das in einer solchen Zeit die Arbeitnehmer kürzer treten wollen. Wie soll denn dann die Arbeitsressourcen geplant werden? Vor allem wo es doch an Facharbeitern mangelt….
Warum rege ich mich aber nun über die Reaktionen so auf? Gehen wir mal ein paar Jahre zurück…
So vor etwa 5 Jahren – die Wirtschaft lief auch schon sehr gut – war ein Schlagwort in aller Munde: Burnout. Die Überlastung der Mitarbeiter. Es waren doch einige Menschen davon betroffen, und auch ich würde sagen, ich war mehr als nur eine Zehenlänge über die Grenze zum Burnout drüber und konnte mich dem auch nur entziehen, in dem ich einige Änderungen in meinem Leben vorgenommen habe. Ich hatte das Gefühl, dass zumindest medial ein Verständnis für die Krankheit „Burnout“ geschaffen wurde und auch dafür, wie man ihn früh erkennt und auch wie man Mitarbeiter davor beschützt. Firmen, so auch mein Arbeitgeber, haben Präventionsprogramme ins Leben gerufen, und jeder, der Hilfe brauchte, konnte sie auch bekommen. Man konnte das Gefühl bekommen, das Problem wurde erkannt, Maßnahmen beschlossen und damit das Problem gelöst. Haken dran.
Dann kam wenig Zeit später das Management (ganz allgemein und nicht nur auf eine Firma begrenzt) auf die Idee: wir schaffen zwar schon wie die Verrückten, aber wir sind immer noch zu langsam! Wir müssen schneller werden, wir müssen AGIL werden!!! Agil! Agil, Agil, Agil, Agil!!!! Agil, ein Wort, auf dass ich mittlerweile doch ziemlich allergisch reagiere…
Alles und jeder muss agil werden, egal ob es Sinn macht oder nicht! Egal, ob in Firmen oder anderen elbst wohltätige Organisationen. Fristen für Dingen werden immer kürzer, es, muss immer zeitnaher geliefert werden, Erwartungen werden immer größer. Bei vielen Fällen, wo etwas mal schnell funktioniert hat, wird gleich behauptet, man habe hier agil gearbeitet. Dabei hat man garantiert nicht anders gearbeitet als noch in der voragilen Zeit. Aber es klingt halt besser, wenn man „agil“ ist. Es ist das Schlagwort unserer Zeit!!! Es wird allgemein dermaßen übertrieben und das eigentlich Wort „Agil“ so derart mißbraucht, dass ich echt im Strahl ko… das hatten wir aber schon. Für mich auf jeden Fall schon jetzt das Unwort des Jahres!
Zurück zum Thema: Für mich übersetzt heißt das, dass wir sowieso schon gestressten und am Rande des Belastbaren arbeitenden Menschen noch stressiger und flexibler arbeiten müssen. Niemand spricht mehr über Burnout, die Arbeitnehmer wurden immer mehr nur noch eine knappe Ressource. Nicht mehr der Mensch, der auch mal Auszeiten braucht, um zu regenerieren. Nicht mehr der Mensch, der nur bis zu einen begrenzten Punkt belastbar ist (und ich behaupte, die allermeisten Menschen erkennen diesen Punkt nicht, wenn sie ihn überschreiten!). Nicht mehr der Mensch, der mal krank wird. Oder der Mensch, der auch ein Privatleben hat, wo er oder sie auch mit vielen Problemen zurecht kommen muss und nicht nur Freuden erlebt. Gefühlt haben wir doch bei der Fahrt auf die Mauer das Gaspedal doch nun noch stärker durchgedrückt!?
Und arbeitstechnisch wird es auch immer widersprüchlicher. Einerseits bietet man immer häufiger die Möglichkeit, „Mobil“ von Zuhause aus zu arbeiten, andererseits werden neue offene Büroflächen eingerichtet, die kurze Weg, offene Kommunikation und engere Zusammenarbeit ermöglichen sollen. In selben Moment, wo den Arbeitnehmern mehr Freiheiten eingesteht, fordert man gleichzeitig, diese Freiheit doch wieder für die bessere Zusammenarbeit aufzugeben.
Und selbst das reicht noch nicht in Deutschland. Die politischen Rahmenbedingungen für die Arbeitszeit sind nach der Meinung einiger nicht gerade linken Parteien nicht mehr „zeitgemäß“, heißt es. Wir wären angeblich nicht flexibel genug. Fallen sollen die 8 Stunden Arbeitstage und auch die 11 Stunden Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen. Auf wessen kosten?
Nun sollte man doch eigentlich denken, dass ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen sollte. Aber weit gefehlt… Gegenwehr gegen die politische Forderung? Keine Spur, das zeigt das Wahlergebnis von schwarz und gelb (und braun) eindeutig!
Und die Reaktion auf die Forderung der IG Metall? Akzeptanz auch häufig Fehlanzeige! Die ersten Reaktionen bei Straßeninterviews in den Nachrichten waren auch nicht anders wie die der Arbeitgeber: Völlig überzogen, totaler Luxus, undenkbar, „ich arbeite selber 70 Stunden in der Woche“, etc. Ich frage mich halt echt, was mit den Menschen bei uns los ist??? Zwei Dinge fallen mir dabei besonders auf:
- Gesellschaftliches Phänomen: Jede Reaktion, die ich bisher gesehen habe, war vermutlich spontan! Keiner hat Inhalt und Hintergründe auch nur ansatzweise mal hinterfragt, um es überhaupt mal verstehen zu wollen! (Und wenn die Reaktion nicht spontan war, dann war sie aber ekelhaftes Kalkül!)
- Gesellschaftliches Phänomen: die Arbeit steht scheinbar nur noch an erster Stelle! Der ganze Tag gilt nur noch der Arbeit, inkl. der immer länger dauernden Fahrt hin zur Arbeit und zurück nach Hause – komplett der Arbeit geschuldete Freizeit! Will sich denn keiner mehr selbst verwirklichen? Hat keiner mehr Hobbies, die er / sie pflegt und die auch Zeit brauchen? Hat keiner Familie, der er mehr Zeit einräumen möchte? Wann erholen sich die Menschen überhaupt noch gescheit? Oder hat jeder sein Hobby und Interessen zum Beruf gemacht? In den sozialen Medien wie Facebook bekomme ich da aber ein ganz anderes Bild.
Ich fühle mich genau aus diesen Gesichtspunkten derzeit ziemlich falsch hier bei uns. Sind wir wirklich ein Land geworden, in dem ich mich mittlerweile schämen muss, mehr Zeit für mich zu haben wollen? Mich schämen, für meine Interessen einzustehen? Mich schämen dafür, auch mal Schwäche zu zeigen?
Daher bin ich wirklich froh über die Forderung der IG Metall. Die Möglichkeiten, mehr zu arbeiten, sind doch heutzutage schon da. Sei es durch Überstunden – wieviele davon unbezahlt – sei es durch Zusatztarifverträge, sei es durch zusätzliche Betriebsvertriebsvereinbarungen. Aber es gibt nur eine Möglichkeit, auch mal weniger zu arbeiten: Die Einbahnstraße in die Teilzeit. Gesetzlich ohne Rückkehr in die Vollzeit und nur mit Goodwill des Arbeitsgebers. Mit Gehaltseinbußen, was sich heute doch nur noch wenige leisten können. Mehr geht immer, weniger nicht – ist das Gerecht?
Ich bin froh über die Forderung, habe aber leider auch das Gefühl, dass der Rückhalt dafür fehlen wird, denn wenn man mit den Leuten spricht, merkt man zwar doch etwas Verständnis, aber eine Überzeugung ist eher nicht zu spüren. Nicht für mich zumindest.
Ich würde mir im Moment ehrlich gesagt auch wünschen, etwas kürzer treten zu können. Vor allem vor dem Hintergrund, dass ich womöglich keine Möglichkeit finden werde, vor 67 in Rente gehen zu können. Die Möglichkeit, eine Zeit lang mal etwas kürzer zu treten, um wirklich zu regenerieren, um die nächsten 30 Jahre Arbeit noch durchzuhalten, wird aber überhaupt nicht diskutiert. Es bleibt also nur die 30 Tage Urlaub, bei denen ich mich auch schon frage, wann diese von Arbeitgebern und Politik in Frage gestellt werden…
